(von Ingo Hütter und Verena Gerhardt)
Informationen über die Lokomotiven der Paulinenaue-Neuruppiner Eisenbahn sind rar in der Literatur - somit war es ein großer Glücksfall, dass kürzlich das nachstehende Bild in einem Nachlass in der Schweiz aufgetaucht ist.
Für die Zurverfügungstellung der Aufnahme von 1893 möchte ich mich ganz herzlich bei Frau Gerhardt bedanken, die im Rahmen Ihrer Nachforschungen zur Familiengeschichte auf dieses Bild gestoßen ist. Der aufmerksame Leser wird sich nun sicherlich fragen, ob es Zufall ist, dass die Lokomotive den Familiennamen GERHARDT trägt - was tatsächlich zu verneinen ist. Hierzu sei aus einem Schreiben zitiert, welches dem Bild beilag:
Somit ist klar, dass das Bild extra für den Geheimen Rat Gerhardt angefertigt worden war und dass die Maschine offensichtlich seinen Namen erhalten hatte. Welche Gründe für diese Namenswahl ausschlaggeben waren, ist leider nicht mehr bekannt, doch lässt der Begriff des „Patenkindes“ vermuten, dass er sich ganz besonders für die Beschaffung dieser Lok – vermutlich mit entsprechenden staatlichen Zuschüssen – eingesetzt hatte. Über den Geheimrat Gerhardt ist leider nur relativ wenig bekannt – aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um Carl August Friedrich Gerhardt-Bach. Er wurde 1832 in Potsdam geboren, wo sein Vater bis 1836 „Weg-Baumeister“ war. Dann aber zog dieser als Ober-Bauinspektor mit der Familie der im Bau fortschreitenden Ostbahn hinterher - von Frankfurt/Oder über Schönlanke, Bromberg, Dirschau, Elbing bis nach Gumbinnen. Auf den heranwachsenden Carl August könnte des Vaters Bahnbegeisterung abgefärbt haben, doch Carl studierte Jurisprudenz und Staatswissenschaften und arbeitete unter anderem in Gumbinnen, Königsberg und Bromberg an verschiedenen Gerichten, bevor er dann 1871 in Franfurt/Oder ansässig und Bürgermeister wurde. Später wurde er Erster Landessyndikus der Provinz Brandenburg und zog nach Berlin. In dieser Zeit war er wohl mit der Paulinenaue-Neuruppiner Eisenbahngesellschaft verbunden und wurde 1893 für seine Arbeit für die Provinz Brandenburg als Lokomotiv-Namensgeber geehrt. Anfang 1914 verstarb Carl Gerhardt in Berlin-Friedenau.
Abgesehen davon, dass durch das oben wiedergegebene Schreiben nun die Herkunft des Lokomotivnamens als geklärt angesehen werden kann, enthält das Bild noch eine weitere Information: Dort kann man nämlich erkennen, dass die Lokomotive neben dem Namen auch die Betriebsnummer „4“ getragen hat. Dies ist ausgesprochen interessant, da es bisher nicht bekannt gewesen war, dass diese Maschine überhaupt mit einer Betriebsnummer versehen war. Und sogleich stellt sich natürlich die Frage, welche Betriebsnummern die anderen Maschinen der Bahn wohl getragen haben mögen? Im Jahr 1893, als die Aufnahme entstand, besaß die Bahn fünf Lokomotiven (siehe auch meine Fahrzeugliste zu der Bahn), was gegen eine rein aufsteigende Nummernvergabe in der Reihenfolge der Beschaffung spricht.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Angaben in der „Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands“, meist einfach nur kurz „Reichsstatistik“ genannt:
Danach wurde die Lok „Bonsen“ oder „Bensen“ mit der Nummer 4 geliefert und bei der Lok „Gerhardt“ wird keine Nummer angegeben. Alles sehr merkwürdig - es bleibt also weiterer Forschungsbedarf ...